Draghis letztes Gefecht
EZB in der Sackgasse?
Das kann sich hören lassen! Unser Zinskommentar als Podcast
Das Wichtigste in Kürze:
- Die EZB belässt die Zinsen im Euroraum bei null Prozent und verschärft die Strafzinsen für Banken.
- Das umstrittene Anleihenaufkaufprogramm soll ab November wiederaufgenommen werden.
- Die zukünftige EZB-Präsidentin spielt schon einmal neue Ideen für eine innovative Geldpolitik durch.
Hinweis: Blau = Verlinkte Fachbegriffe im Miniglossar am Ende des Artikels
Mitte September war es soweit: Mario Draghis letzte Zinssitzung als Chef der Europäischen Zentralbank (EZB).
Die EZB legt noch eine Schippe drauf
Sollte es ein leiser Abschied werden? Mitnichten! Es war ein Auftritt, bei dem die EZB noch einmal alles in die Waagschale werfen wollte, was die Geldpolitik zu bieten hat. Konkret bedeutetet dies:
- Die Leitzinsen im Euroraum bleiben auf null Prozent. Von der vor zwei Jahren angekündigten Erhöhung ist keine Rede mehr. Die Zinswende rückt deshalb erneut in weite Ferne.
- Ab dem 1. November will die EZB wieder damit anfangen, Anleihen aufzukaufen. Pro Monat sollen dann 20 Milliarden Euro in Anleihen (Schuldverschreibungen von Ländern der EU und von Unternehmen) gesteckt werden, um der Wirtschaft sehr billiges Geld zu verschaffen. Das Anleihenaufkaufprogramm ist ein geldpolitisches Instrument, das im Dezember 2018 eingestellt wurde, weil es Anzeichen für eine Stabilisierung der Wirtschaft und der Kerninflation gab. Davon ist angesichts der überall in Europa und speziell auch in Deutschland vorhandenen Zeichen einer Rezession jetzt nicht mehr die Rede.
- Die Strafzinsen für Banken werden erhöht. Statt 0,4 Prozent, müssen Banken nun 0,5 Prozent Strafzinsen zahlen, wenn sie Geld bei Der EZB parken wollen. Der Sinn der Aktion: Die Banken sollen das Geld unter die Leute bringen. Insbesondere diese Aktion wird vermutlich die Zinsen für Baufinanzierungen weiter drücken, denn Banken werden immer verzweifelter versuchen, das Geld auch zu verleihen, statt es verlustbringend bei der EZB zu bunkern.
Draghis letztes Gefecht
In der Pressekonferenz im Anschluss an die Zinssitzung verteidigte Mario Draghi seinen Kurs. Expansive, also lockere Geldpolitik sei nach wie vor notwendig – auch zukünftig. Ein Wirtschaftswachstum von nur noch 1,1 Prozent (2019) und 1,2 Prozent (2020) in der Eurozone und eine anhaltend niedrige Inflation, weit entfernt von den angestrebten zwei Prozent, seien Tatsachen, die eine Zinswende verhinderten. Aus Deutschland kamen hierzu vor allem kritische Stimmen. Hans-Walter Peters, Präsident des Bankenverbandes BdB, hält der EZB vor, dass sie die gleiche nutzlose Medizin wie früher verabreiche – nur in höheren Dosen: „Die EZB erinnert an einen Autofahrer, der in einer Sackgasse die Geschwindigkeit weiter erhöht.“
Helikopter werfen Geldscheine ab...
Christine Lagarde übernimmt von Draghi ein schweres Erbe. Was kann die Französin denn tun, was ihr italienischer Vorgänger nicht getan hätte? Das ganze Arsenal der Geldpolitik wurde ja längst aufgefahren. Also müssen frische Ideen her. Welche das sein könnten, ließ sie ansatzweise bei einer Fragestunde vor Abgeordneten des EU-Parlaments durchblicken. Statt Anleihen könnte die EZB zum Beispiel auch noch Aktien kaufen. Eine seltsame Vorstellung, aber offenbar ist derzeit kein Szenario zu absurd.
Wie wäre es zum Beispiel mit einem Helikopter, der über den Menschen in der Fußgängerzone Geldscheine abwirft? Die Glücklichen würden dann sofort in die Geschäfte laufen, das Geld ausgeben und die Wirtschaft kräftig ankurbeln, so die Theorie. Klingt das zu abgedreht? Nein: Es ist tatsächlich eine alte Idee des US-Ökonomen Milton Friedman, die nun ein Brüsseler Think Tank für Lagarde empfahl. Die Geldschöpfung über dieses „Helikoptergeld“ würde Konjunktur und Inflation anfeuern.
Auch eine Strafsteuer auf Bargeld wurde schon diskutiert: Um zu verhindern, dass die Sparer ihr Geld von den Nullzins-Bankkonten abheben und in den Sparstrumpf stecken, könne man einen Extrazuschlag für Barzahlungen erheben – um sie unbeliebt zu machen.
Geht es der britischen Wirtschaft jetzt an den Kragen?
Szenenwechsel: Aus Großbritannien kommt der Stoff, aus dem spannende Polit-Serien gemacht werden. Wer weiß, vielleicht kommt das Brexit-Drama demnächst bei Netflix – womöglich mit "Mister Bean" Rowan Atkinson (dann allerdings mit Struwwelpeter-Perücke) in der Hauptrolle? Das Hin und Her zwischen Premier Boris Johnson und dem Parlament lieferte in den letzten Wochen sehr viel Stoff für Aufregungen und auch Grund zur Sorge.
War die Überraschungspleite des ältesten Reiseunternehmens der Welt, Thomas Cook, nicht schon eine Vorabkostprobe, was die britische Wirtschaft nach einem No-Deal-Brexit erwartet? Einige Experten meinen, dass der bevorstehende Brexit für den Reise-Giganten der letzte Sargnagel gewesen sei. Johnson's Trick, das Parlament in eine lange Sommerpause zu schicken, um den Brexit bis Ende Oktober auf jeden Fall durchziehen zu können, ist gescheitert. Am 24. September befasste sich der britische Supreme Court mit dem Fall und erteilte Johnson eine Klatsche: Das Parlament habe ein Recht, an einer so wichtigen Entscheidung wie dem Brexit mitzuwirken, argumentierte die oberste Richterin Lady Brenda Hale. Kaum war das Urteil gesprochen, forderte die Opposition Johnson's Rücktritt. Doch der denkt gar nicht dran ...
ImmobilienScout24-Zinsbarometer: Darlehen mit langer Zinsbindung verlieren die meisten Prozentpunkte
Der Sommer ist vorbei und schon zeigen die Bauzinsen eine uneinheitliche Entwicklung (Stand 21.09.2019). Kurzfristige Darlehen fallen um 0,05 Prozentpunkte auf aktuell 0,45 Prozent. Die Schallmauer der 0,50 Prozent ist also erstmalig durchbrochen worden.
Aber was ist das? Bei den Krediten über zehn Jahre gab es tatsächlich eine Seitwärtsbewegung: Die Zinsen pendelten ein wenig, stabilisierten sich aber auf dem Vormonatsstand bei 0,65 Prozent.
Bei den 15-jährigen Krediten ging es um zaghafte 0,02 Prozentpunkte abwärts. Diese Kredite gibt es für rund 0,93 Prozent. Eine echte Überraschung stellen die langfristigen Zinsen über 20 Jahre dar. Denn hier gab es die größten Veränderungen: minus 0,09 Prozentpunkte auf 1,10 Prozent.
*Hinweis: Bei den Zinsen handelt es sich um Durchschnittswerte der bei ImmobilienScout24 gelisteten Baufinanzierer zum angegebenen Stichtag. Für die Kalkulation wurden folgende Modelldaten verwendet: Angestellter, Darlehenssumme: 200.000 Euro, Beleihungsauslauf: 80 Prozent, Tilgungsrate: 3 Prozent.
Anleihenaufkaufprogramm: Eine geldpolitische Maßnahme der Europäischen Zentralbank. Sie will Banken dazu veranlassen, Darlehen an Unternehmen und Privathaushalte auszugeben, um die Konjunktur anzukurbeln. Zwischen März 2015 und Dezember 2018 kaufte die EZB in großem Umfang europäische Staats- und Unternehmensanleihen. Ab November 2019 soll das Programm wiederaufgenommen werden.
Bruttoinlandprodukt bezeichnet den Wert aller Waren und Dienstleistungen, die in einem Jahr innerhalb der Landesgrenzen einer Volkswirtschaft produziert werden. Es ist das Maß für die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft.
Geldpolitik: Darunter versteht man alle Maßnahmen eines Staates, die Geldversorgung und Kreditangebote der Banken zu regulieren, um wirtschaftspolitische Zwecke zu erfüllen. Dahinter steht das Ziel, den Wert des Geldes einer Volkswirtschaft stabil zu halten.
Fed: ist die Abkürzung für Federal Reserve. Damit ist die Zentral- oder Notenbank der USA gemeint.
Leitzinsen: Diese von der Zentralbank eines Landes festgelegten Zinsen geben an, zu welchen Konditionen sich Kreditinstitute bei der Noten- bzw. Zentralbank Geld leihen können. Sie sind ein wichtiges Steuerungsmittel der Geldpolitik.
Kerninflation: Ein volkswirtschaftliches Konzept, das bestimmte Güter aus der Berechnung der Inflationsrate ausklammert. Dabei handelt es sich meist um die Preisschwankungen für Lebensmittel und Produkte aus dem Energiesektor, die saisonal schwanken, aber deren Preisänderungen nicht auf die Volkswirtschaft selbst zurückzuführen sind.
Rezession: Eine Phase im Konjunkturzyklus (daneben gibt es noch Aufschwung, Boom und Depression). Man spricht üblicherweise von einer Rezession, wenn sich die Wirtschaft in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen abschwächt oder zumindest gleichbleibt.
Irrtum vorbehalten