Der Sommer bringt ein Jahreshoch bei den Bauzinsen
Zinskommentar September 2017: Weiterer Anstieg der Bauzinsen erwartet - eine langfristige Zinsbindung lohnt sich jetzt besonders
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Das Wichtigste in Kürze:
- Das Bundesverfassungsgericht legt beim Europäischen Gerichtshof Klage gegen die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) ein.
- Die EZB hält ihre Politik der Niedrigzinsen und das Anleihenaufkaufprogramm weiterhin für angemessen.
- Im Jahresvergleich stiegen die Bauzinsen Ende Juli auf ein neues Hoch: Wer jetzt finanziert oder eine Anschlussfinanzierung vorbereitet, sollte sich die aktuellen Zinsen sichern.
Hinweis: Blau = Verlinkte Fachbegriffe im Miniglossar am Ende des Artikels
War die totale Sonnenfinsternis drei Tage vor dem internationalen Treffen der Notenbanker in Jackson Hole ein schlechtes Omen für den Chef der Europäischen Zentralbank (EZB)? Dieser musste sich in dem kleinen Städtchen in den Rocky Mountains der fortwährenden Kritik an seiner Geldpolitik stellen. Noch stehen die Entscheidungen über Zinsveränderungen aus – die Bauzinsen haben sich aber bereits merklich erhöht. Panik ist für Immobilienkäufer allerdings keinesfalls angesagt.
In Jackson Hole herrschte das Schweigen im Walde – oder vielmehr in den Bergen. Die versammelten Notenbänker sprachen über alles Mögliche, nur sehr wenig über ihr eigentliches Metier – die Geldpolitik. Auch EZB-Präsident Draghi sagte viel Wolkiges, aber nichts Konkretes. Eine Woche zuvor, in seiner Rede vor Nobelpreisträgern in Lindau war es noch anders. Hier verteidigte er seine bisherige Geldpolitik mit Leitzinsen bei null Prozent und dem umstrittenen Anleihenaufkaufprogramm mit einem Volumen von monatlich 60 Milliarden Euro. Er gab bekannt: „Die verstärkte Regulierung und Aufsicht der vergangenen Jahre hat die Welt robuster gemacht.“ Viele Beobachter werteten seine Aussagen als Antwort auf den Gegenwind, der ihm insbesondere aus Deutschland entgegenweht.
Was war geschehen? Die EZB hatte sich im Juli in die Sommerpause verabschiedet und verwies darauf, dass man sich erst im Herbst wieder zur Geldpolitik äußern würde. Mitte August jedoch meldete sich das deutsche Bundesverfassungsgericht. Nach mehreren Klagen gegen das milliardenschwere Anleihenaufkaufprogramm verlangten die obersten Richter, dass sich nunmehr der Europäische Gerichtshof (EuGH) damit befassen solle, ob die EZB nicht etwa ihre Befugnisse überstrapaziert habe und verbotenerweise Staatsfinanzierung betreibe (siehe Kasten). Der Antrag wurde im „beschleunigten Verfahren“ gestellt, um die Dringlichkeit der zu erwartenden Entscheidung zu betonen.
Der Vorwurf lautet: Die EZB überschreite ihren Auftrag weitgehend und greife mit ihrer Politik in die Befugnisse ihrer Mitgliedsstaaten ein. Denn: Wirtschaftspolitik ist nach wie vor Sache der Finanzminister der einzelnen EU-Staaten. Außerdem haften die Mitgliedsstaaten zu einem Teil auch für die aufgekauften Anleihen. Ein weiterer Kritikpunkt des Bundesverfassungsgerichts: Die EZB stütze mit ihrer Geldpolitik einzelne Staatshaushalte. Nun warten die Finanzakteure auf die Entscheidung des EuGH.
Das Verbot der Staatsfinanzierung durch die Notenbank
Um zu verstehen, was mit diesem Verbot im Zusammenhang mit der Klage des Bundesverfassungsgerichts gemeint ist, hilft es zu wissen, was das Anleihenaufkaufprogramm der EZB überhaupt bewirkt. Staaten können sich frisches Geld besorgen, indem sie Anleihen ausgeben. Das sind Schuldscheine, die eine Rückzahlung des geliehenen Geldes plus Zinsen verbriefen. Der Käufer der Staatsanleihe wird Gläubiger, der ausgebende Staat Schuldner. Wenn nun aber nicht Unternehmen oder Privatleute diese Anleihen kaufen, sondern die EZB, setzt sie sich dem Verdacht aus, die betreffenden Staaten zu finanzieren, insbesondere, wenn sie die Anleihen direkt von der Regierung des jeweiligen Staates kaufen würde. Das ist ihr gemäß Artikel 123 des „Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ verboten. Der Grund: Die Zentralbank darf die Geldmenge nicht ohne warenwirtschaftliche Gegenleistungen unbegrenzt vergrößern. Die Folge wäre langfristig eine Inflation, also ein Verfall des Geldwerts, weil das Gleichgewicht von Geld- und Warenmenge gestört ist. Erlaubt sind der EZB jedoch der Erwerb von Anleihen am sogenannten „Sekundärmarkt“ – also nicht direkt von den Staaten, sondern von Geschäftsbanken. Kritiker meinen, dass aber auch dies über kurz oder lang auf eine verbotene Staatsfinanzierung hinauslaufe – nur dass zwischen Staat und EZB eben noch die Bank stehe, die die Staatsanleihen einfach an die EZB „weiterreicht“. Und genau hier setzt der Verdacht der Verfassungsrichter an, wenn sie sagen, die EZB würde ihre Kompetenzen überschreiten.
Bis zum nächsten EZB-Zinstermin am 7. September bleibt also abzuwarten, wie es mit den Zinsen weitergeht. Doch der Markt reagiert bereits jetzt sensibel auf bloße Gerüchte und Andeutungen. Die Experten der Baufinanzierer haben schon seit Wochen und Monaten immer wieder ein Steigen der Zinsen prognostiziert. Prinzipiell unterstützt das ImmobilienScout24-Zinsbarometer* (siehe Diagramm) diese Voraussagen auch: Bis Ende Juli erreichten die Bauzinsen ihren Höchststand der letzten 12 Monate. Die Darlehen mit 10-jähriger Bindungsfrist landeten bei 1,30 Prozent. Zum Vergleich: Ihren Tiefststand hatten sie Ende Oktober 2016 bei 0,90 Prozent. Man muss kein Experte sein, um eine Steigerung von 0,40 Prozent als Anzeichen eines deutlichen Aufwärtstrends zu deuten.
Wie haben sich die Baukredite im August (Stichtag: 19.8.) entwickelt? Die Kredite mit zehnjähriger Zinsbindung landeten bei 1,29 Prozent, bei fünfjährigen Zinsbindung wurde 1,0 Prozent erreicht. 15-jährige Kredite lagen bei 1,68 Prozent und die Zinsen mit einer Zinsfestschreibung von 20 Jahren bei 1,83 Prozent.
Spätestens jetzt sollten Immobilienkäufer mit spitzem Bleistift nachrechnen und sich fragen: Können wir uns eine sehr langfristige Zinsfestschreibung leisten? Falls ja, kann die langfristige Zinsfestschreibung ein guter Weg sein, am besten gleich in Form eines Volltilgerdarlehens mit hoher Anfangstilgung.
*Hinweis: Bei den Zinsen handelt es sich um Durchschnittswerte der bei ImmobilienScout24 gelisteten Baufinanzierer zum angegebenen Stichtag. Für die Kalkulation wurden folgende Modelldaten verwendet: Angestellter, Darlehenssumme: 200.000 Euro, Beleihungsauslauf: 80 Prozent, Tilgungsrate: 3 Prozent.
Anleihenaufkaufprogramm: Seit März 2015 kauft die EZB in großem Umfang europäische Staats- und Unternehmensanleihen. Sie will Banken dazu veranlassen, Darlehen an Unternehmen und Privathaushalte auszugeben, um die Konjunktur anzukurbeln.
Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ist das höchste deutsche Gericht. Es wacht über die Einhaltung des Grundgesetzes.
Europäischer Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg legt das EU-Recht aus und sorgt dafür, dass dieses Recht in allen EU-Ländern in gleicher Weise angewendet wird. Der EuGH regelt auch Rechtsstreitigkeiten zwischen nationalen Regierungen und EU-Institutionen.
Geldpolitik: Darunter versteht man alle Maßnahmen eines Staates, die Geldversorgung und Kreditangebote der Banken zu regulieren, um wirtschaftspolitische Zwecke zu erfüllen. Dahinter steht das Ziel, den Wert des Geldes einer Volkswirtschaft stabil zu halten.
Leitzinsen: Diese von der Zentralbank eines Landes festgelegten Zinsen geben an, zu welchen Konditionen sich Kreditinstitute bei der Noten- bzw. Zentralbank Geld leihen können. Sie sind ein wichtiges Steuerungsmittel der Geldpolitik.
Irrtum vorbehalten